Arbeitskampf tobte vor genau 100 Jahren in Rengsdorf - Stundenlohn war selbst für damalige Zeit gering - Teurer Kurort
Die Finanzkrise hält derzeit die Welt in Atem, und viele Menschen befürchten eine Katastrophe. Liest man jedoch vom Existenzkampf einiger Rengsdorfer Arbeiter vor genau 100 Jahren, dann relativiert sich diese Wortwahl.
Ein Streik hat vor 100 Jahren letztlich das Ende für die Rengsdorfer Kettenschmiede der Firma Boesner bedeutet. Dr. Lothar Kurz hat im aktuellen Heimatjahrbuch des Kreises Neuwied den Arbeitskampf aus dem Jahre 1908 rekonstruiert. Der spannende Text lässt erkennen, dass die damaligen Verhältnisse doch noch deutlich düsterer waren als heute.
Denn der Streit entzündete sich, weil der Arbeitgeber eine Lohnkürzung von zehn Prozent anordnete und den Arbeitern gleichzeitig eine Kündigung nahe legte, sollten sie nicht akzeptieren. Genau das taten sie. Im Kaiserreich gab es noch kein Streikrecht und so blieb den Arbeitern als Protestform nur die kollektive Kündigung. In Rengsdorf reichten diese 42 von 46 Angestellten ein.
Die Geschäftsleitung legte daraufhin nach und gab bekannt, dass eine Wiedereröffnung nur möglich sei, wenn die Löhne um nochmals zusätzliche 7,5 Prozent gekürzt würden.
Löhne selbst für 1908 gering
Apropos Löhne: Die waren in der Rengsdorfer Kettenschmiede, in der hauptsächlich Abfälle aus der Augustenthaler Drahtzieherei verwertet wurden, selbst für damalige Verhältnisse gering. Ein Flugblatt des "Gewerkvereins deutscher Maschinenbau- und Metallarbeiter" schreibt, dass die Arbeiter der Kettenfabrik selbst vor der Kürzung einen durchschnittlichen Stundenlohn von 22,98 Pfennig erhalten hatten. Zum Vergleich: Um 1900 verdiente ein Berliner Industriearbeiter rund 1850 Mark im Jahr. Um auf diese Summe zu kommen, hätten die streikenden Rengsdorfer schon zum alten Kurs fast 150 Stunden pro Woche arbeiten müssen.
Folglich schreibt das Gewerkschaftsflugblatt wohl nicht zu unrecht: "Das ist der Kampf um die Existenz." Zumal Rengsdorf ein Kurort sei, "wo die Preise für den Lebensunterhalt bedeutend höher sind wie anderswo". Folglich gehen die Autoren später im Text davon aus, dass "jeder ehrlich und gerecht denkende Mensch in diesem Kampf auf Seiten der Arbeiter stehen wird."
Und selbst offizielle Stellen, die sich vor 100 Jahren in Deutschland doch allgemein sehr schwer taten, streikende Arbeiter und Gewerkschaften zu unterstützen, sahen die Problematik. So schloss der Rengsdorfer Amtsbürgermeister Philipp Wink nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch mit Schmiedenbesitzer Boesner ein Schreiben an den Landrat mit der kurzen Bemerkung: "Tatsache ist allerdings, dass die Löhne verhältnismäßig gering waren."
Vermittlung scheitert
Landrat Kurt von Elbe, der zunächst noch eine Vermittlung mit dem Hinweis abgelehnt hatte, dass die Arbeiter gleichzeitig Landwirte und dadurch vor Brotlosigkeit bewahrt seien, schaltete sich nun doch ein. Er machte jedoch gleich deutlich, dass er wenig Chancen sehe. "Der Gewerkverein hat den Fehler begangen, gerade zur Zeit der schlechten Konjunktur mit dem Lohnkampfe vorzugehen", äußerte er gegenüber dem Koblenzer Regierungspräsidenten. Er führte zudem aus, dass die Kettenschmiede wohl aufgrund der hohen Transportkosten für Rohstoffe und Fertigwaren in Rengsdorf kaum konkurrenzfähig produzieren könne. Und so scheiterten die Vermittlungsversuche schließlich, obwohl sich die Arbeiter nach rund dreimonatigem Ausstand bereit erklärt hatten, den zehnprozentigen Lohnabzug zu akzeptieren.
Boesner lehnte die Landratsvermittlung am 9. Dezember ab, zumal keinerlei Aufträge vorlägen. "Ob ich überhaupt mit sämtlichen Kettenschmieden die Arbeit wieder einmal aufnehmen lasse, möchte ich schon heute verneinen, weshalb ich es unter den gegebenen Umständen wohl für das beste halte, wenn sich die Leute nach anderer Beschäftigung umsehen", sagte er und ließ dem bald Taten folgen. Zunächst bot er das Fabrikgebäude in der Neuwieder Zeitung öffentlich zum Verkauf an. Als er keinen Interessenten fand, überließ er dem Kinderheim das Gebäude als Stiftung. Damit waren Fakten geschaffen.
Die Rengsdorfer Kettenschmiede der Firma Boesner wurde nach ihrer Schließung als Kinderheim genutzt.
Ulf Steffenfauseweh - RZ vom 17.10.2008
Foto: Archiv Karl Hoffmann - Digitale Bearbeitung Rolf Weingarten
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