Die Bismarcksäule in Rengsdorf

Am 30. Juli 1898 stirbt Otto von Bismarck auf seinem Alterssitz Schloss Friedrichsruh. Aus diesem Anlass rufen die deutschen Studentenschaften zum Bau von Bismarcksäulen oder anderen Mahnmalen für den Schöpfer der deutschen Einheit und „Eisernen Kanzler" auf. Der Gedanke, den Fürsten Bismarck durch Denkmäler zu ehren, die nicht seine Person darstellen, ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neu. Seit 1890 entwickelte sich die Idee des Bismarcktums. Dabei wurde die Anlehnung an mittelalterliche Wehr- und Bürgertürme gesucht. Die Monumente sollten Reichseinheit, Waffenbrüderschaft und Patriotismus zum Ausdruck bringen.

Das direkte Vorbild für die Rengsdorfer Bismarcksäule ist ein Entwurf des Architekten Wilhelm Kreis, der bei einem von den Studentenschaften veranstalteten Wettbewerb den ersten Preis errang. Dieser Entwurf wurde den bauwilligen Gemeinden von den Studenten zur Ausführung empfohlen. Er sah einen dreistufigen Bau auf quadratischem Grundriss vor. An seinen Kanten sollten kräftige, durch ein kapitellartiges Gesims zu einer Einheit verbundene Säulen stehen. Auf dem Unterbau war eine Plattform mit Feuerschale vorgesehen. In der Schale sollte an nationalen Feiertagen (Sedantag, Kaiserproklamation, Bismarcks Geburts- oder Todestag etc.) ein weithin sichtbares Feuer entzündet werde. Den Außenbau wollte Kreis nur schlicht gestaltet wissen. Nur Bismarcks Wappen oder sein Wahlspruch wurden als Schmuck empfohlen. Als Standort sollte eine Bergeshöhe mit freier Aussicht auf das von Bismarck geeinigte Vaterland gewählt werden. Das Baumaterial sollte aus heimischem Gestein sein.

Die Rengsdorfer Bismarcksäule entspricht mit einigen Abweichungen diesen Idealvorstellungen des Architekten Kreis. Der Baumeister, Herr Bloemers, und der Bauausschuss unter der Leitung des Kgl. Landrates und Geh. Regierungsrates von Runkel, haben sich bei ihren Planungen offensichtlich an seinen Plänen orientiert. Doch es gibt auch eine Reihe von signifikanten Änderungen gegenüber dem Kreis'schen Entwurf. Besonders auffällig sind die achteckigen Pfeiler anstatt der von Kreis vorgesehenen Säulen und die Viergeschossigkeit des Baus. Ihr Grundriss ist quadratisch. Dieses Quadrat wird im Bau über die achteckigen Pfeiler in den runden Aufbau mit der Feuerschale überführt.

Über einem weit ausladenden Sockel aus Polygonalmauerwerk setzt eine weitere Sockelzone an. Diese ist weit zurückgesetzt und leitet vom ersten breiten Sockel zu den Pfeilern über. Aus sie besteht aus Polygonalmauerwerk. Über dem Sockel setzen die Eckpfeiler an. Sie haben eine stark vereinfachte Basis, über der ein glattes Band um den gesamten Baukörper umläuft. Die Pfeiler sind in Quadrattechnik aufgemauert und die Zwischenräume mit Hausteinmauerwerk gefüllt. Den oberen Pfeilerabschluss bildet ein weiteres um den Bau laufendes Band und ein breiter, gegliederter Eichenlaubfries. Der Fries zeigt aufrechtstehende, an der Spitze eingerollte Eichenblätter im Wechsel  mit Eicheln über den Pfeilern und Eichenlaubbüscheln mit Eicheln über den Pfeilerzwischenräumen.

Über dem Fries setzt ein ausladendes Gesims an, darüber springt der Bau zurück. Auf einer Plattform erhebt sich ein runder Aufbau für die Feuerschale, der durch Steinwechsel bandartig gegliedert ist. Er wird durch ein achteckiges Gesims abgeschlossen.

Die Außengliederung der Bismarcksäule ist schlicht gehalten. Auf der Vorderseite trägt sie ein Bronzerelief mit dem Portrait Bismarcks, seinem Geburts- und Todestag in einem einfachen Steinrahmen.

Auf der Rückseite befinden sich zwei Türen und ein kleines Fenster. Die von Kreis gestellten Anforderungen an Lage und Material werden von der Rengsdorfer Bismarcksäule vollständig erfüllt. Sie steht weit sichtbar auf einer Höhe, und das Material - zumeist Granit - ist in der näheren Umgebung des Bauplatzes vorhanden (Eifel). Material und Mauerwerksform sind für die Bismarcksäulen sehr wichtig, denn in der Verwendung von örtlichem Material drückt sich die Heimatverbundenheit der Erbauer aus, in der Mauerwerksform aber ihr Anschluss an die Tradition, denn es werden bewusst archaische Mauerwerksformen verwendet.

Wer aber waren nun die Erbauer der Rengsdorfer Bismarcksäule ? Die erste Idee zur Errichtung einer Bismarcksäule in Rengsdorf kam im Sommer 1901 auf. Zu diesem Zeitpunkt wurde der erste Aufruf zum Bau einer Bismarcksäule unter Mitwirkung einiger Kurgäste erlassen. Man glaubte damals allerdings, den Bau nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens sechs Jahren verwirklichen zu können, denn die Vermögensverhältnisse auf dem Westerwald waren schlecht. Dass der Grundstein zur Bismarcksäule dann doch schon am 30. Juli 1902 gelegt wurde und man bereits am 21. Juni 1903 die Einweihung feiern konnte, war zum großen Teil das Verdienst des Kgl. Landrates und Geh. Regierungsrates von Runkel, der den Vorsitz des Bauausschusses übernommen hatte. Von Runkel und der Rengsdorfer Bürgermeister Wink trieben die Baupläne voran und sorgten für die nötige finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde Rengsdorf. Außer aus Spenden der Gemeinden und von Privatleuten aus der näheren und weiteren Umgebung wurde die Bismarcksäule aus einem Zuschuss der Rengsdorfer Bürgermeistereikasse von 7.000 Mark finanziert.

In vielem ist die Rengsdorfer Bismarcksäule typisch für den Denkmalbau des späteren 19. Und frühen 20. Jahrhundert. Träger des Denkmalgedankens war das Bildungsbürgertum, dies zeigt eindrucksvoll die Liste der Ehrengäste anlässlich der Grundsteinlegung und der Einweihung der Bismarcksäule. Vertreten sind Mitglieder des Landtages, hohe Beamte, selbstverständlich auch Militärs und Abgesandte der Fürsten zu Wied. In der zweiten Reihe stehen mittlere Beamte, Privatunternehmer, Bürgermeister kleinerer Gemeinden und Schuldirektoren. Adelige sind kaum vertreten und wenn, dann in ihrer Funktion als Vertreter Preußens. Interessant ist, dass kein Mitglied der Familie zu Wied bei den Feierlichkeiten anwesend war. Angehörige der mittleren und unteren Bevölkerungsklassen nahmen an den Feierlichkeiten als Turner, Sänger oder Mitglieder des Kriegsvereins teil.

Das Bürgertum sah in Bismarck, dem Reichsreiniger, die Persönlichkeit, der es seinen wirtschaftlichen Aufstieg verdankte. Dies erklärt zumindest zum Teil die ungeheure Popularität der Bismarck-Denkmäler zwischen 1898 und 1914. In Meyers großen Konversationslexikon ist 1906 von 309 Bismarck-Denkmälern die Rede. Allein 43 Bismarcksäulen folgen genau dem von Wilhelm Kreis vorgeschlagenen Entwurf, eine große Zahl anderer variiert ihn, so auch das Rengsdorfer Beispiel.

Aber die Bismarcksäule ist nicht nur Huldigung an den „Eisernen Kanzler", sie erfüllt, wie auch viele Kaiser- oder Gefallenendenkmäler der Zeit, die Rolle des örtlichen Statussymbols. Da die Säulen aus den Spendenmitteln der Gemeinde finanziert werden musste, zeigte ihre Ausstattung die wirtschaftliche Potenz einer Gemeinde. Auch die Konkurrenz zwischen den Gemeinden ist an dieser stelle nicht zu vergessen. So rühmt man sich denn nach der Einweihung „ ... auf dem durch den patriotischen Westerwalde die erste Bismarcksäule zu besitzen".

Man zeigte mit der Errichtung einer Bismarcksäule also nicht nur seine Wirtschaftskraft, man bekundete auch seine patriotische Gesinnung, die der preußische Staat, dem die Rheinländer traditionell eher skeptisch gegenüberstanden, auch zu fördern wusste. So ist es sicher kein Zufall, dass der Landrat den Vorsitz des Bauausschusses übernahm und ein hoher Zuschuss zu den Baukosten geleistet wurde. Wenn der Bau von Bismarck-Denkmälern vom preußischen Staat auch nicht offiziell gefördert wurde, so wurde er doch sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen und nach Kräften unterstützt, denn durch die in ganz Deutschland errichteten Denkmäler wurde die neue Reichseinheit im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Die Akzeptanz des Kaiserhauses wurde durch die patriotischen Feiern, die mit einer Denkmalserrichtung notwendig verbunden waren, gefördert.

Die Bismarcksäule in Rengsdorf ist eines der wenigen noch in seinem Ambiente erhaltenen Denkmäler des frühen 20. Jahrhunderts. Die Aussicht auf das „geeinigte Vaterland" ist noch unverbaut.

Petra Spielmann

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